17.12.2009 – Le Temps, Übersetzung ins Deutsche durch Christof Merkli, 12. März 2010
Der Wind füttert die Gemeinde und den Groll
ST. BRAIS – Zwei Windkraftanlagen wurden am Rand des Dorfes St.Brais gebaut. Die Gemeinde kassiert dafür Geld, aber einige Anwohner beschweren sich.
Am Eingang zu den Freibergen, im Norden der Schweiz. Nachdem man 500 bis 1000 Höhenmeter überwunden hat, führt der Weg durch eine Felspforte. Auf der anderen Seite über den Bäumen erscheinen auf einer Anhöhe zwei riesige Maschinen mit Rotoren, das Dorf Saint-Brais dominierend. «Das erste Mal, wenn man sie sieht, ist das schon ein eindrückliches Erlebnis» Sagt der Maire, Frédy Froidevaux.
Im Oktober 2009 wurden durch die ADEV aus Liestal zwei Windkraftwerke in Betrieb genommen. Die Turbinen verfügen über eine Leistung von je 2 Megawatt und einem Rotordurchmesser von über 80 Metern. «Und einer Gesamthöhe von 119 Metern», präzisiert der Maire. «Wir haben auf einer Weide gebaut, durch die der Wind fegt und wo der Wald nicht mehr stört». Die erste Windkraftanlage steht 300 Meter vom Dorf entfernt, die Zweite gerade dahinter.
«Diese Monster sind ein hässlicher Schandfleck in der Landschaft und erzeugen einen unerträglichen Lärm», erzählt Pascale Hoffmeyer Queloz, die in Saint-Brais wohnt, eine Gemeinde mit 220 Einwohnern wovon etwa 100 auf abgelegenen Höfen leben. Während sie gut akzeptiert auf den Kreten des Mont Crosin im Berner Jura stehen, wo sie sich eher diskret zwischen Bäumen und isolierten Höfen verstecken, erzeugen die Windkraftanlagen von Saint-Brais eine breite Debatte.
Nach achtjähriger Planungszeit sind sie endlich am 31 Oktober 2009 in Betrieb genommen worden. «Es war die Hölle am Wochenende von Allerheiligen», sagt Frédy Froidevaux ironisch. Ein Krach «vergleichbar mit dem Lärm eines Flugzeuges in der Anflugsschneise eines Flughafens, hier allerdings kontinuierlich», bestätigt Pascale Hoffmeyer. «Das ist abhängig davon, woher der Wind weht und wie die Windräder ausgerichtet sind», erklärt Sandrine Girardin, Finanzverwalterin der Gemeinde. «Der Wind von Südwest macht Probleme». «Wir haben gewusst, dass man die Regelung noch optimieren muss», bestätigt auch der Maire. «Die Mehrheit der Einwohner wissen das und tragen ihr Schicksal mit Geduld. Die Situation hat sich verbessert. Wenn man die Ohren spitzt, hört man das Flüstern der Windräder. Aber in der Praxis stört mich das nicht. Ich bin derjenige, der den Windrädern am nächsten wohnt».
Um das Dorf zu besänftigen, wurde die Drehzahl der Propeller durch die Nacht ein Drittel reduziert. «Das ändert nichts, der Lärm bleibt stechend», sagt Pascale Hoffmeyer dazu. Wir wohnen in Saint-Brais, weil wir die Natur und die Stille hier schätzen». Hier nähert man sich den akustischen Unbilden des Dorfes. «Wir werden nie mehr zur ursprünglichen Ruhe zurückfinden.» Sie verlangt die Demontage der Turbinen. «Wir haben für dreissig Jahre unterschrieben», antwortet der Maire.
«Grosser ökologischer Betrug»
Mit zwei weiteren Familien «Widerständler für die privaten Interessen», gemäss dem Maire, bezeichnent Pascale Hoffmeyer Queloz das Ganze als «Grossen ökologischen Betrug». «Wenn diese Windräder den Energiekonsum der Gemeinde und der Region abdecken würden, wäre das besser zu akzeptieren. Aber man hat diese Monster bei uns hingepflanzt um den Genfern und Zürchern ein gutes Gewissen zu ermöglichen. Wir dürfen unseren Energiebedarf nicht mit einer solchen Umweltverschmutzung erzeugen. Es ist viel Geld im Spiel aber zu wenig Diskussion um die dadurch erzeugten Probleme.»
Der Rest der Bevölkerung scheint weniger kritisch zu sein. Das ist wohl deshalb, weil die Rotoren momentan im Leerlauf drehen. Ohne Lärm. «Mein Keramikatelier ist 300 Meter entfernt, das raubt mir den Schlaf nicht», sagt Alfred Messerli. «Unsere Landschaft verändert sich. Das ist nun mal so. Man muss mit der Zeit gehen und die Nachteile der Konsumgesellschaft akzeptieren», ergänzt ein Bauer.
Für Saint-Brais, das nur über eine Dreherei und keine Beiz mehr verfügt, deren Poststelle in Gefahr ist, abgebaut zu werden und die Bauzonen für 5 Franken den Quadratmeter anbietet, sind die Windräder eine gute Sache.
Die Kompensation dafür
Während mehreren Jahren kassiert die Gemeinde jährlich 5’000 Franken pro Windkraftanlage und Jahr und liefert 2% des Stromverbrauchs von Zürich. «Man schätzt dieses Einkommen von 40’000 Franken», stellt der Maire fest. Dies entspricht dem operativen Defizit der Gemeinde. Die drei Landwirte, deren Rinder auf den Wiesen der Windmühlen grasen, erhalten 1’500 Franken pro Jahr. «Das ist weit unter dem Betrag, den wir für neue Projekte zugesagt haben», stellt Sandrine Girardin fest. Die ADEV hat der Gemeinde Saint-Brais zusätzlich 20’000 Franken an die Abfallentsorgung und die Einzäunung der Weidefläche bezahlt. Hat man sich bestechen lassen? «Absolut nicht», erwidert der Maire. Das ermöglicht uns zu investieren.»
Er sieht vor noch weitere zwei bis drei Windkraftanlagen zu bauen. In einem anderen Abschnitt der Gemeinde. «Wir hatten sieben Angebote für den Bau und wir haben SIG (Services industriels de Genève) gewählt», präzisiert Frédy Froidevaux.
Auf dem Höhepunkt der Kontroverse um die Belästigung hat die Gemeindeversammlung das Projekt mit 21 Stimmen gegen 13 angenommen. Der Maire rechnet mit der Realisierung bis 2012. «Finanziell wird es das Doppelte bringen».