Erneuerbare Energien und Landschaftsschutz

Veröffentlicht in der NZZ vom 24. März 2011, mit freundlicher Bewilligung des Autors Hans Weiss

Hans Weiss war Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und des Fonds Landschaft Schweiz (1970–2000) und ist heute freiberuflich tätig.

Fossile Energievorräte schwinden, die Skepsis gegenüber der Kernkraft steigt. So
ertönt der Ruf nach erneuerbaren Energien.
Es fehlen aber Kriterien, wo Sonnenenergie- und Windkraftanlagen landschaftsverträglich
sind und wo nicht.

Jüngst haben die Bernischen Kraftwerke mit einem Unterton des Bedauerns verkündet, sie seien gezwungen, ihre Ziele zu den Ausbauplänen für die Nutzung der grünen Energien zurückzustufen. Denn diese würden jedes Mal, wenn es um ein konkretes Vorhaben gehe, durch Einsprachen blockiert. Auch andere Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft verbreiten den Eindruck, es handle sich bei diesem Widerstand um Umweltgruppen, die einfach nach dem Sankt-Florians-Prinzip lokale Interessen verfolgten und die Nutzung der umweltfreundlichen Energiequellen zwar ebenfalls forderten, aber nur, wenn es nicht gerade bei ihnen selber geschehe.

Interessenabwägung

Mit dieser Sicht macht es sich die Elektrizitätswirtschaft allzu einfach. Erstens erwähnt sie mit keinem Wort, dass auch Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie in einem scharfen Konflikt zum Landschaftsschutz und zur Ökologie stehen können. Und zweitens verkennt sie, dass das öffentliche Interesse an der Erhaltung der längst knapp gewordenen und deshalb kostbaren Güter «unversehrte Landschaften» und «unversehrte Natur » gleichrangig mit dem Interesse an der Energieversorgung ist.
Bei der auch in der Bundesverfassung geforderten Abwägung zwischen den gegensätzlichen Interessen sind die Spiesse zwischen Landschaftsschutz und Energiegewinnung nicht gleich lang. Auf der einen Seite steht der Bund, der den  erneuerbare Energie produzierenden Kraftwerken den ins Netz gelieferten Strom so vergütet, dass ihre Kosten gedeckt werden (sogenannte kostendeckende Einspeisevergütung, KEV). Er tut dies, ohne klarzumachen, in welchen Fällen die Eingriffe in Landschaft und Natur unverträglich sind. Den Aufpreis zahlen die Konsumenten. Damit entsteht  volkswirtschaftlich gesprochen eine Marktverzerrung. Das knappe und kostbare Gut Landschaft, nach dem eine zunehmende Nachfrage besteht, wird gegenüber der Produktion von elektrischem Strom benachteiligt.
Auf der anderen Seite stehen die Kantone und die Gemeinden, bei denen die Hoheit über die Wasserkraftnutzung und die Bewilligung von Windkraft- und anderen Anlagen liegt. Das eigene Hemd ist ihnen in der Regel näher als die für sie abstrakt oder nicht klar definierten Interessen an der Erhaltung der Schönheit der Landschaft. Wenn Bürger und Gruppen lokalen Widerstand leisten gegen Projekte, die mit schweren Eingriffen in die Landschaft verbunden sind, ist das nicht Ausdruck eines Sankt-Florians-Prinzips, sondern Ausdruck der unterschiedlichen Zuständigkeiten und der mit der erwähnten KEV verursachten ökonomischen Asymmetrie.
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, jeder Wassertropfen, der nicht durch eine Turbine fliesst, und jeder Höhenzug, der nicht der Verstromung von Windenergie dient, habe seinen Zweck verfehlt. Dabei wird aber ausgeblendet, dass  Landschaft und Natur nebst einem Eigenwert vielfältige Wohlfahrtswirkungen haben, die wir marktmässig nicht bewerten und immer noch zum Nulltarif konsumieren – obwohl ihre Existenz nicht mehr selbstverständlich ist und obwohl wir für unsere körperliche und psychische Gesundheit und nicht zuletzt für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz auf sie angewiesen sind.

Umweltgüter bewerten

Es liegt an einer eingeübten Denkstruktur, dass wir Werten, die wir zahlenmässig erfassen können, ein höheres Gewicht geben. Heute, wo die Umweltgüter allgemein gefährdet sind, wird es zur Notwendigkeit, diesen auch dann, wenn sie nicht mit Zahlen erfasst und nicht mit Geld aufgewogen werden können, einenWert zu geben, der genauso wie quantifizierbare materielleWerte in die Waagschale der Güterabwägung und der politischen Entscheidungsprozesse gelegt werden muss. Der
Konflikt zwischen Energiegewinnung und Landschaftsschutz ist dafür nur ein Beispiel. Hier darf auch daran erinnert  werden, dass der Ausbau der Wasserkraft im grossen Stil schon längst erfolgt ist und dass es nur noch wenige Fliessstrecken gibt, die ungenutzt und naturnah sind.

Eine verbindliche Planung

Es geht, wohlverstanden, nicht darum, den Ausbau erneuerbarer Energien zu verhindern. Es gibt bei der Erneuerung alter Kraftwerke, bei der Umnutzung ehemaliger Industrieanlagen und im modernen Siedlungsbau noch ein ungenutztes Potenzial an Sonnen-, Wasser- und Windenergie, deren Nutzung ohne zusätzliche Eingriffe in die Landschaft möglich ist und sogar mit ökologischen Aufwertungen kombiniert werden kann.
Es würde sowohl den Interessen der Elektrizitätswirtschaft als auch dem Landschaftsschutz dienen, wenn der Bund rasch Kriterien aufstellen würde, die verbindlich aufzeigen, in welchen Fällen die kostendeckende Einspeisevergütung mit dem Landschafts-, Natur- und Heimatschutz verträglich ist und in welchen nicht. Diese Kriterien sind in die Planungen des Bundes und der Kantone einzubeziehen. Die Gebiete, wo die Schutzinteressen gegenüber Nutzungsinteressen überwiegen, sind verbindlich zu bezeichnen. Andernfalls riskieren wir, dass unersetzliche Werte der Landschaft für ein energetisches Linsengericht geopfert werden.

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1 Trackback von "Erneuerbare Energien und Landschaftsschutz"

  1. am 10. Juni 2011 um 20:08