Das grosse Halali auf den Wald ist eröffnet

Das schweizerische Waldgesetz ist nicht das restriktivste der Welt. In Japan wurde die reglementierte Nutzung des Waldes schon vor vielen hundert Jahren eingeführt. In Europa ist das schweizerische Waldgesetz wohl als das nachhaltigste zu bezeichnen. Es verbietet grundsätzlich die Rodung und den Bau von Anlagen mit „Nichtforstlichem Nutzen“. Die strengen Vorschriften sind historisch begündet. Um das Jahr 1840 wurden grosse Waldflächen gerodet. Der Restbestand des schweizerischen Waldes wurde noch auf eine Fläche von lediglich 700’000 Hektaren geschätzt. Die daraus resultierende Erosion hatte grosse Murgänge und Überschwemmungen zur Folge. Im Gebiet des Emmentals mussten notfallmässig Hänge mit schnellwachsenden Nordamerikanischen Kiefern bepflanzt werden, eine Baumart, die nicht heimisch, aber schnell wachsend das Problem bald gelöst hat. In der Folge erholten sich die Waldflächen bis zur heutigen Fläche von 1.2 Mio Hektaren Wald. Tendenz steigend.

Vernünftige Politiker bauen das Fundament für die Lobbyisten der Windradlobby

In den letzten Jahren wurde das Thema Wald immer wieder auf das politische Parkett gebracht. Am 25. Juni 2009 hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats die Parlamentarische Initiative 09.474, „Flexibilisierung der Waldflächenpolitik“ eingereicht. Am 20. Oktober des gleichen Jahres hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates dem Inhalt der Initiative zugestimmt:

Es ist eine Änderung des Bundesgesetzes über den Wald zu erlassen mit dem Ziel, in Gebieten mit einer Zunahme der Waldfläche Konflikte mit landwirtschaftlichen Vorrangflächen, ökologisch oder landschaftlich wertvollen Gebieten sowie dem Hochwasserschutz zu beseitigen; dies durch eine Flexibilisierung der Pflicht zum Rodungsersatz in den betroffenen Gebieten. Gleichzeitig sind geeignete Instrumente vorzusehen, damit in den Gebieten mit einer Zunahme der Waldfläche eine weitere, unerwünschte Ausdehnung der Waldfläche eingeschränkt werden kann. Dabei soll die Gesamtwaldfläche nicht reduziert werden.

Diese Anpassung kann als sinnvoll, auch aus der Sicht eines pragmatischen Naturschutzes bezeichnet werden. Es war absehbar, dass es nicht lange dauern würde, bis die Profiteure der Windradlobby diesen vorsichtigen Tabubruch für die Nutzung des Waldes bemerken und die Möglichkeiten für ihre eigenen Ziele erkennen würden. Weil der Wald bei einer Mehrheit der Bevölkerung bekanntlich einen äusserst sensiblen Status geniesst, ging die Windradlobby mit der bewährten Vorsichtigkeit ans Werk. Weitere Infrastrukturanlagen und Freizeitanlagen im Wald wurden bei einer landesweiten repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 1999 deutlich abgelehnt. Da hat man zuerst die Marketingorganisation der Suisse Eole  eingeschaltet, um über ein eingespieltes und eingeschmiertes Mediennetzwerk ein paar Versuchsballone loszulassen.

Carpe diem – die Windradlobby beisst an

Nach einem Jahr Wartefrist, aber mit einem gut hörbaren Vorgeplänkel mit viel Vorfreude auf das offensichtlich von langer Hand vorbereitete und intern diskutierte Postulat Cramer, wurden in den Zeitungsartikeln im Mittelland die ersten Aussagen publik, dass man doch auch im Wald solche Anlagen aufstellen sollte. Schliesslich sei das in Deutschland schon länger die Normalität und hätte da keinerlei nachteilige Folgen gezeitigt. Wie üblich wurden weder die Nachteile noch die in Deutschland gezeitigten Folgen minimal recherchiert. Die Windradlobby darf seit Jahren erzählen, was immer sie will. Mangels Verständnis und mit viel vorausschauendem Gehorsam wird es von den Medien unkritisch aufgenommen und fleissig portiert. Das längst erwartete Postulat wurde jetzt also Realität:

Ständerat Robert Cramer als Speerspitze der Suisse Eole

Das Postulat 10.3722 – „Erleichterung des Baus von Windkraftanlagen in Wäldern und auf Waldweideflächen“ ist mit einem ehrlichen Titel ausgerüstet worden. Man muss ja auch gar nichts befürchten, denn wenn man das Wort „Windenergie“ in den Mund nimmt, darf man bei uninformierten Parlamentariern immer noch mehrheitlich mit freudigem Erschauern rechnen. Dafür wird praktisch alles geopfert, was früheren Generationen lieb und teuer war – auch der Wald. Dieses Postulat hat nur auf den ersten Blick etwas Gemeinsames mit der Parlamentarischen Initiative 09.474. Es ist nicht weniger als das grosse Halali auf den Waldschutz:

Der Bundesrat wird beauftragt zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, Massnahmen zu ergreifen, dank denen der Bau von Windkraftanlagen in Wäldern oder in Waldnähe sowie auf Waldweideflächen erleichtert werden kann, wenn dort ein nutzbares Windkraftpotenzial besteht. Diese Massnahmen könnten in einer Praxisänderung bestehen oder, wenn notwendig, sogar in einer Änderung des Waldgesetzes. Der Bundesrat achtet dabei darauf, die Landschaft und die Naturschutzgebiete sowie die Fauna und Flora bestmöglich zu schützen.

Es wird sofort klar, dass es sich um einen echten Paradigmenwechsel handelt. Die Suisse Eole ist davon überzeugt, dass schon das schwächste Lüftchen ein „nutzbares Potenzial“ darstellt. Also dürfen wir bei der Realisierung im dannzumal aktualisierten Waldgesetz davon ausgehen, dass neben jedem unbewaldeten Hügel nun auch noch auf jedem bewaldeten Hügel ein Windpark aufgestellt werden soll. Ganz im Sinne der Klimafanatiker, die die gesamte Weltkugel (ernsthaft!) in ein Meer von Windkraftanlagen verwandeln wollen. Das heuchlerische Achten auf die Natur ist zwar ein krasser Gegensatz zur erwarteten Wirkung, macht sich aber ausserordentlich gut, auf den ersten Blick. Dem Bundesrat hat das Postulat in einer ersten Reaktion auch gefallen:

Antwort des Bundesrates vom 24.11.2010

Der Bau von Windenergieanlagen im Wald oder in Waldweiden kann unter bestimmten Umständen ökologisch und ökonomisch vorteilhaft sein. Angesichts der Zunahme der Waldfläche in der Schweiz und der unterschiedlichen ökologischen Qualität der verschiedenen Waldflächen ist der Bundesrat bereit, die Möglichkeiten zur Erleichterung des Baus von Windenergieanlagen im Wald oder in Waldweiden zu prüfen.

Was ist hier ökologisch?

Zum Glück muss das der Bundesrat nicht im Detail erklären. Wahrscheinlich würde die Antwort ähnlich inkompetent ausfallen, wie bei der Zentrale der Pro Natura: „Windkraftnutzung schützt die Natur vor dem drohenden Aussterben von Pflanzen und Tieren“ (widerlegt). Oder: „Strom aus Windkraft ist sauber“ (widerlegt). Oder „Wir müssen etwas tun und Zeichen setzen“ (Ja, aber das Richtige tun, bitte). Wer das als ökologisch bezeichnet, soll sich doch so eine Baustelle mal genauer anschauen. (Bilder Mathias Kreh, Deutschland)


Was ist hier ökonomisch?

Der Bau von Windkraftanlagen im Wald hat keinen Vorteil, sondern lediglich Nachteile: Beim Bau müssen die Waldstrassen massiv verbreitert werden, Bäume links und rechts der Waldautobahn werden gerodet. Es muss neben dem eigentlichen Bauplatz für die Windkraftanlage auch noch eine etwa fünfmal so grosse Fläche für die Baumaschinen und die Arbeitsplattform gerodet werden. Beim Rückbau (Geri Müller:“ Man kann das alles spurlos entfernen!) muss die Waldstrasse wieder verbreitert werden oder bleibt praktischerweise gleich auf 4 Meter Breite anstelle der ursprünglichen 2 Meter Breite. Das grösste Problem ist aber die entstehende Lichtung im geschlossenen Wald. Nachdem der europaweit massiv den Wald schädigenden Sturm Lothar 1999 über die Lande gezogen war, konnte eine professionelle Analyse die Ursachen klar eingrenzen. Das  Dokument „LOTHAR Ursächliche Zusammenhänge und Risikoentwicklung“ bezeichnet die Lücken im geschlossenen Waldgefüge als grösste Ursache der massiven Schäden:

Auf Seite 30 unten finden wir folgenden Abschnitt:

„Die Eigenschaften der kollektiven Stabilität, namentlich das Bestehen von Unterbrechungen des oberen Kronendaches (Lücken, starke Eingriffe in die Oberschicht) bzw. einer Schwächung (starker Borkenkäferbefall) scheinen relevanter zu sein als die individuellen Stabilitätseigenschaften.“

Und auf Seite 33 des gleichen Dokuments:

„Untersuchungen im Windkanal lassen annehmen, dass die Schaffung von Lücken grösser als eine Baumlänge entscheidend wirken könnten. … Dank grösseren Zwischenräumen in den Kronen steigt die Bewegungsamplitude der verbleibenden Bäume; der Dominoeffekt wird dann offensichtlicher. Sind einmal einzelne Lücken gebildet, tritt der Wind mehr in die Lücken ein und bildet Turbulenzen, welche den Lückenrand in Windrichtung destabilisieren (GARDINER et al. 1997). Ab einer bestimmten Auflösung des Bestandes kann die Netzwerkwirkung der Gerüstbäume nicht mehr funktionieren und die Kohärenz der Struktur hält nicht mehr Stand. So genügen bei fortgeschrittener Auflösung des Bestandes wenige starke Böen, um flächige Schäden zu verursachen.“

Weiter auf Seite 35:

„Untersuchungen im Windkanal auf die Reaktion von Modellbeständen mit unterschiedlichen Formen der Unterbrechung des Kronendaches zeigen, dass weniger regelmässige Unterbrechungen, sondern vielmehr Lücken für die Auflösung des Bestandesgefüges bzw. für den Zusammenbruch desselben verantwortlich sind. Sogar ungleichförmige Strukturen reagieren besser als Lücken (MORSE et al. 2003; GARDINER und MARSHALL 1997; FRASER 1964). Lücken ab einer Baumlänge lassen eine erhebliche Steigerung der Biegemomente an der windexponierten Lückenwand erkennen (STACEY et al. 1994; GARDINER et al. 1997). So darf man annehmen, dass Fronten bzw. die Bildung von grösseren Femellücken wichtige Ansätze für die Auflösung der Bestandesstabilität darstellen.“

Da diese Art von Stürmen in Zukunft wegen der Klimaerwärmung eher häufiger auftreten, wäre diese „Erleichterung zum Bau von Windkraftanlagen im Wald“ die zu erwartende Ursache von weit massiveren Waldschäden in der Zukunft. Lothar hat nur schon Waldschäden von 760 Mio. Schweizer Franken verursacht. Mit den zusätzlichen Waldlücken der Windkraftanlagen wären es dann wohl doppelt so viele (Quelle):

Die Schadensumme im Wald beträgt rund 760 Mio. CHF, besonders stark geschädigt wurden dabei die privaten Waldeigentümer. Weitere rund 730 Mio. CHF fielen durch Schäden an Gebäuden und Fahrhabe an. Insgesamt beläuft sich die Schadensumme durch den Orkan Lothar auf ca. 1’780 Mio. CHF, verursacht in nur zwei Stunden am Vormittag des Stephanstags 1999.

Waldweideflächen und Waldnahes bauen als guter Kompromiss?

Windkraftnutzung ist in der Schweiz wegen dem europaweit geringsten durchschnittlichen Windaufkommen sowieso schon auf die allerbesten Standorte für ökonomisch betreibbare Anlagen angewiesen. Waldränder und Waldweideflächen (grosse Lichtungen) sind für die Rauigkeit des Windes ein grosses Problem. Es entstehen grosse Wirbel und Scherwinde, die den gleichmässigen Windfluss stark behindern. Dieses als „Rauigkeit“ der Landschaft bekannte Element jeder Windpotenzialrechnung spielt bei solchen Standorten eine entscheidende Rolle. Mit der ökonomischen Verfälschung durch übertriebene Subvention des trotzdem produzierten Stroms kann dieser Nachteil nicht ausgeglichen werden. Es ist also auch hier eine Frage des Verhältnisses zwischen Aufwand und Ertrag. Der Aufwand ist dermassen gross, dass wir dieses Thema nicht mehr anschneiden sollten. Eine Aufweichung des Waldgesetzes zu Gunsten eines unsinnigen und mit keinen stichhaltigen Argumenten untermauerbaren Windenergienutzung mitten in der Natur macht einfach keinen Sinn.

Deutschland

Auch in Deutschland werden Windkraftwerke nicht einfach in Waldgebiete gebaut. Es handelt sich dabei um klare Ausnahmen. In Deutschland werden die grossen Windparks meistens in die offene Ebene gebaut. Da Deutschland in Richtung Norden über gute Windverhältnisse verfügt, müssen die wenigen Hügel nicht mit Windkraftwerken verunstaltet werden. Wie das in Deutschland üblich ist, wurde dazu eine exakte Studie ausgeführt. Sie soll dem Leser nicht vorenthalten werden, obwohl die Aussagen manchmal widersprüchlich sind. So geht die Studie nicht auf die Problematik der Anfälligkeit von Waldlücken auf Stürme ein. Dafür werden weitere Aspekte beleuchtet und obige Aussagen weitgehend bestätigt. Die Universität Kaiserslautern hat das Dokument „Hinweise zur Planung von Windenergieanlagen auf Waldstandorten“ erstellt.


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